GELENKSPERRE UND SEELENFLUCHT
„Hand vor den Mund beim Gähnen!“ war eine von vielen Erziehungsregeln, die Eltern in früheren Zeiten ihrem Nachwuchs mit Nachdruck beizubringen hatten.
Man muss nicht lange suchen, um eine nicht geringe Anzahl Menschen zu finden, die sie entweder nicht kennt oder einfach ignoriert.
Die alles um sich herum daran teilhaben läßt, wieviel Löcher, Plomben, Kronen und Essensreste ihr Gebiß ziert.
Jetzt könnte man natürlich mutmaßen, dass wegen einer das ganze Jahr andauernden Frühjahrsmüdigkeit und wegen des Vollmondes die betreffenden Gähner ein erhebliches Schlafdefizit haben, und sie dieses Gähnereignis ganz plötzlich und überfallartig erleiden müssen, so dass keine Zeit mehr bleibt, die Hand vor den Mund zu führen.
Nein, ich glaube, dass ihnen die mangelnde Attraktivität ihres aufgerissenen Mundes von der Dimension eines Scheunentores gar nicht gegenwärtig oder einfach bloß wurscht ist.
„Der Vinzenz“, wie wir - unter uns - unseren damaliger Berufsschullehrer respektlos nannten, erklärte uns einst, dass man beim Gähnen eine Blockade des Kiefergelenkes riskiere, in deren Folge man den Mund von alleine nicht mehr zu bekäme, ausser mit Hilfe (haben Sie das schon gesehen? „Mit Hilfe“ schreibt man jetzt so: „mithilfe!“ Ohne mich!) einer Ohrfeige. Seither trau ich mich nicht mehr, richtig zu gähnen.
Es fände sich sicher jemand, der einem gerne mal eine schallern würde, aber wie bittet man im Katastrophenfall um eine Ohrfeige, wenn man nicht sprechen kann?
Der Sitte Ursprung, beim Gähnen die Hand vor den Mund zu halten, liegt im Mittelalter. Doch!!
So hab ich‘s gelesen!
Damals glaubte man, dass beim Gähnen bösen Geistern der Weg in den menschlichen Körper geöffnet würde.
Und wer häufig gähnte, galt als von finsteren Mächten besessen.
Und dass unwillkürliches Gähnen dem Betroffenen Gesichtslähmungen bescheren könnte (siehste?!).
Und wo anders habe ich gelesen, man riskiere dabei, dass einem die Seele abhaut.
Keine Wort darüber, dass man einfach nur müde sein könnte.
Gähnen scheint also nicht ungefährlich zu sein, und falls es Sie wieder überkommt, halten Sie lieber die Hand vor den Mund.
Und sperren Sie ihn nicht so weit auf, damit das Gelenk nicht womöglich blockiert oder Ihr Gesicht lahmt.
Vergessen Sie auch nicht, ihre Kinder entsprechend aufzuklären, man kann nie wissen, was alles dran ist an solch mittelalterlichen Wunderlichkeiten.