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Südkurier-Aktion: „Meine Innenstadt“ – Theresa Clayton über die Entwicklung eines kleinen Städtchens

Veröffentlicht am 03. September 2004

 

Es war einmal ein kleines Städtchen, in welchem in der Hauptstraße und in den Nebenstraßen viele kleine Geschäfte ihr Zuhause hatten. Es gab mehrere Schuhgeschäfte und einige kleine Lebensmittelgeschäfte, und es gab sogar ein Milchgeschäft, in welchem man auch am Sonntag bis mittags frische Milch in seine Milchkanne bekam oder schnell noch etwas kaufen konnte, was man am Samstag vergessen hatte. Man kaufte sein Brot noch beim Bäcker und seine Fleisch- und Wurstwaren beim Metzger.

Es gab Geschäfte für Eisen- und Haushaltswaren, in dem man Nägel und Zangen und Schraubenzieher und Kochtöpfe und Schüsseln und Besteck kaufen konnte, und in welchem man auch fündig wurde, wenn man etwas zum Verschenken suchte.
Es gab Geschäfte, wo man Kleider und Hosen und Mäntel und Stoffe und Druckknöpfe und Hosenträger und Zwirnsfaden und Stecknadeln und Stricknadeln und Wolle und viele andere schöne Sachen kaufen konnte, die man so brauchte.

Und dann gab es ein schönes großes Kino und im selben Gebäude eine Kegelbahn und einen großen Tanzsaal, in dem am Wochenende immer ein paar Musiker mit echten Musikinstrumenten zum Tanz aufgespielt haben und wo dann ordentlich geschwoft wurde.

Und es gab auch einige nette Cafés, die länger als bis 19 Uhr geöffnet waren, und in einem gab es selbstgemachte Gulaschsuppe, und man konnte sich abends spät noch ein weichgekochtes Ei bestellen, und die netten älteren Leute, die dieses Haus betrieben, haben es selbst gekocht.

Zu dieser Zeit ging man noch zu Fuß zum Einkaufen, weil das Auto noch nicht in alle Haushalte eingezogen und den Menschen noch nicht am Po angewachsen war.

 

Doch alles hat einmal ein Ende, und als die Menschen mehr und mehr mit dem Auto zum Einkaufen gingen, verstopfte die Innenstadt immer mehr, und die Menschen wurden ärgerlich, wenn sie nicht direkt vor dem Laden parken konnten, in dem sie ihre Einkäufe machen wollten.

 

Nun kam auch die Zeit, in welcher so nach und nach die Supermärkte ihren Einzug auf den „grünen Wiesen“ hielten. Dort gab es viele Sachen in einem einzigen Geschäft, die sonst in verschiedenen Läden erworben werden mußten, und weil die Supermärkte ja viiiiel größer waren als die kleinen Geschäfte in der Innenstadt, packte man sie auch voll mit vielen wichtigen Sachen, die die Menschen früher gar nicht brauchten. Auch hatten die Supermärkte große Parkplätze, und die Menschen brauchten nicht mehr so viel zu laufen und zu schleppen.

 

In dem kleinen Städtchen, von dem hier die Rede ist, schlossen immer mehr Geschäfte ihre Ladentür für immer, weil sie gegen die Lauffaulheit der Menschen und gegen die Preispolitik der Supermärkte nicht mehr ankämpfen konnten.

Und da hilft nun auch keine Fußgängerzone mehr und gar nichts.

Und weil dies nur ein Teil der modernen Entwicklung ist, haben die armen Menschen nun viel zu wenig Bewegung und mehr Zeit und Gelegenheit zum Essen und werden immer dicker und steifer.

Damit das nicht zu schlimm wird, gehen sie ganz vielen sportlichen Aktivitäten nach, die viel Geld kosten, und machen auch ganz viele Diäten, was sie in der guten alten Zeit nicht mußten, weil sie beim Einkaufen schon ganz schön ins Schwitzen gekommen sind und viele Kalorien verbrannt haben bei all der Lauferei und Schlepperei, und fit war man auch, weil das Einkaufen berghoch und bergrunter schon eine schöne sportliche Betätigung war.

 

Ja, und nun ist die schön gepflasterte und sterile Fußgängerzone leer, und keiner will sich mehr dort aufhalten.

Und all die schlauen Menschen, die sich das vorher alles so schön ausgedacht hatten, wissen nun auch nicht mehr weiter.

Und ich auch nicht.“