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© Theresa Clayton 2015

 

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DOKTOR

 

Inzwischen sind sie durch die Bank weg alle jünger sind als ich.

Nicht nur die in unserem Städtchen - auch anderswo.

Ich würde direkt Bedenken bekommen bei der Aufforderung „Machen sie sich mal frei!“. Zum Glück fehlt mir nicht so viel und schon gar nicht da, wo ich mich „frei machen“ müßte, deshalb bekommen mein jugendlicher Hausarzt und seine Kollegen mich nur dann zu sehen, wenn es gar nicht mehr anders geht.

 

Bei uns zu Hause galt sowieso die Devise: „Dat schiet sich wech!“.

Erst, wenn sich nach einer längeren Weile das Problem nicht von selbst erledigt hatte, ging man zum Doktor.

Der war stets älter als man selbst, reif und weise, fragte dies, fragte das, schrieb unleserliche Dinge auf, flößte einem Respekt ein mit seinem weißen Kittel und dem hölzernen Stetoskop, dem Knochengerippe in der Ecke und den „sag-mal-aah-Stäbchen“, die er einem bis zum Würgepunkt in den Hals hineingeschoben hat.

 

Mein jetziger Doktor gehört zur Computer-Generation.

An diesem Gerät sitzt er und tippt erst einmal mit zwei Fingern, wofür ich zehn bräuchte, all das hinein, was er über mich in Erfahrung bringen kann.

Anschließend plaziert er sich hinter mich - die ich auf der Liege liegen darf, hält meine Hand, macht ein bißchen Agrakadabra und wünscht mir einen guten Appetit, bevor er mir ein paar Zuckerkügelchen, süß wie Liebesperlen, in den Mund fallen läßt.

Die bittere Medizin darf ich mir später aus der Apotheken holen.

 

Auch die Dekorationen in den Sprechzimmern haben sich verändert.

Früher konnte man sich die Wartezeit nur vertreiben, in dem man versuchte, die Zungenbrechertitel der herumstehenden Fachliteratur zu entziffern.

Heute lernt man vom Plakat den Verlauf von Venen und Arterien, damit man sich beim Hantieren mit dem Küchenmesser nicht an der falschen Stelle schneidet.

Akkupunkturpläne hängen auch herum mit nackten Männern drauf. Falls der Arzt mal vergißt, wo die richtigen Löcher sind, in die er hineinpieksen muß, kann er darauf nachsehen.

 

Andere Plakate mahnen, sich bei ganz bestimmten Risiken und Nebenwirkungen gefälligst bei der Krankenkasse zu beschweren und nicht beim Arzt.

Der hat schließlich schon genug Sorgen mit dem neumodischen Gesundheitswesen.

 

Ich weiß ja nicht, womit Ihr Doktor sein Sprechzimmer so aufhübscht. Bei meinem jedenfalls stehen jede Menge Schneekugeln herum. Sie wissen schon, diese niedlichen Dinger, die man schüttelt, und dann schneit’s in der Kugel.

Daran kann man auch erkennen, daß die Ärzte immer jünger werden. Sie können sich noch nicht richtig von ihren Spielsachen trennen.

 

 

 

 

Mein früherer Doktor, der immer älter war als ich, hat seinen weißen Kittel an den Nagel gehängt.

 

 

Mitunter sieht man ihn, Walkman in der Tasche, Kopfhörer in den Ohren, aus dem Bergwald herausstapfen.

 

Ob unsereins sich bei seinen jugendlichen Nachfolgern geniert, oder was in Sachen Gesundheitsreformen ausgeheckt wird, ficht ihn alles nicht mehr an.