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© Theresa Clayton 2015

 

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HILDEGARD

 

Jeder Mensch im Umkreis von mehreren Kilometern weiß inzwischen, dass Liebling gegen alles und jedes allergisch ist.
Das drückt sich bei ihm in stundenlangen Niesattacken aus, deren Lautstärke jeden Elefanten neidisch werden ließe.

Vor allem morgens früh. Wenn er aufstehen soll.

Ich habe lieber schon mal einen Termin beim Hörgeräteakustiker vereinbart, weil ich mittlerweile die Befürchtung hege, dass meine beiden Trommelfelle das nicht mehr lange mitmachen.

 

Lieblings neue Flamme läßt sich durch seine Trompeterei nicht beeindrucken.

Vielleicht ist sie schwerhörig.

Ausserdem schert sie sich einen feuchten Kehricht um Konventionen.

Neulich zum Beispiel, wir saßen auf der Terrasse, um dort in den letzten Sonnenstrahlen, die uns der Herbst noch beschert, unseren Nachmittagskaffee zu genießen, gesellte sie sich, seine Niesattacken und mich ignorierend, einfach dazu.

Nicht, dass ich irgend eine Ahnung hätte, wie sie heißt.

Ich habe sie mal „Hildegard“ getauft.

Hildegard ist schwer hinter Liebling her.

Kaum läßt er sich draußen blicken, ist sie da und flitzt ihm zwischen den Füßen herum.

 

Und was macht Liebling?

Alle paar Minuten kommt er mit glänzenden Augen und erstattet Bericht, was Hildegard

gerade wieder gemacht hat, mit welchen Tönen er ihr hinterhergepfiffen und von wo aus es zurückgepfiffen hätte und lauter solche Sperenzchen – als hätte ich sonst nichts zu tun.

Von dem ganzen Dreck, den sie ums Haus herum macht mit den abgerupften Vogel- und Holunderbeeren und ihren unanständigen weißen Häufchen auf Terrasse, Gartenmöbeln und und Gartenweg, die, raten Sie mal, wer...., immer wegputzen darf, darüber verliert er keinen Ton.

 

Mich wundert, daß ihrem Mann das alles egal zu sein scheint.

Der guckt bloß.

Wo es doch ganz offensichtlich ist, dass Liebling sich dem Alter nähert, in welchem die meisten Männer dazu neigen, sich im 2. Frühling zu fühlen – egal, in welcher kalendarischen Jahreszeit man sich gerade befindet. Da sollte man schon ein bisschen aufpassen. In dieser Zeit geht einiges durcheinander in den männlichen Köpfen, und über das damit einhergehende chaotische Gefühlsleben wollen wir erst gar nicht erst reden.

Die meisten Zweitfrühlingsbeziehungen dauern Gott sei Dank nicht lange.

Irgendwann verläuft sich das.

Mit Geduld und Spucke übersteht man diese eingeschobene Jahreszeit.

Ich mache mir also nicht die allergrößten Sorgen. Jetzt kommt sowieso gleich der Winter, da wird das mit den Frühlingsgefühlen ohnehin zu anstrengend. Wer geht in frostiger Kälte schon freiwillig in den Garten, um Vogelfrauen hinterherzupfeifen.

Was ich allerdings mehr und mehr bedenklich finde, ist, dass Liebling, sobald wir am Waldrand entlang spazieren und Vogelgesänge hören, so komisch mit den Ellenbogen auf- und abwedelt. Gerade so, als wolle er das Fliegen üben. Hoffentlich zwitschern mir die beiden nicht doch noch davon - er und sein Vogel.

 

„Tztz“, brummelt er gerade hinter mir herum, „jetzt schreibt sie sogar schon über meinen Vogel!“